Freitag, 7. November 2014

Im Gymnasium sind Kinder, die da nicht hingehören und andere plakative Aussagen


Hin- und Hergerissen wurde ich beim Lesen des Artikels «In Schweizer Gymnasien sind Kinder, die dort nicht hingehören» der Intelligenzforscherin Elsbeth Stern.
Schon den Titel ist plakativ und reißerisch, aber sowohl in der Schweiz, wie auch in Österreich und Deutschland wird es so sein, dass „sozial gut gestellte Eltern“ alles daran setzen, ihre Kinder ins Gymnasium zu schicken und diese Kinder durch Gymnasium zu bringen. Ob das sinnvoll ist, kann ich nicht beurteilen, aber die Eltern werden wohl mit dem Gymnasium „bessere Chancen im (Berufs-) Leben“ verbinden.
Auf der anderen Seite werden Kinder „sozial schwacher Eltern“ seltener das Gymnasium besuchen, obwohl sie dazu geeignet wären. Hier geht viel Potential verloren, und junge Menschen werden um ihre Chancen und Möglichkeiten gebracht.

Im weiteren Verlauf fallen weitere plakative Aussagen:

* „Ein bisschen Frühenglisch bringt nichts.“ JA, sehe ich auch so. So viel ich weiß, gibt es keine einzige Studie die einen positiven Zusammenhang zwischen Englischkursen für Kleinkinder und den späteren Englischnoten/ Kenntnissen gefunden hat.
Ballett, Musikunterricht, Babyschwimmen und was da sonst noch alles angeboten wird, sollte aber nicht unter dem Aspekt der Frühförderung betrieben werden (also mit dem Hintergedanken, dass es das Kind später leichter hat) sondern aus Freude an der Sache und als Bereicherung.

* „Ein Drittel der Kinder im Gymnasium lag unter dem IQ von 112,6.“ Und das wäre laut Stern schlecht. Da kann ich nur sagen: Aha. Wieso denn gerade 112,6? Weil die 20% der besten Ergebnisse in IQ-Tests über diesem Wert liegen. Aus einem Grund, den ich nicht nachvollziehen kann, sollen laut Stern nur 20% der Kinder aufs Gymnasium.

* Oder zum Einfluss der Gene auf die Intelligenz: „Bei der Vererbung werden die «Karten» immer wieder von Generation zu Generation neu gemischt. So können hochintelligente Eltern durchschnittlich intelligente Kinder haben und hochbegabte Kinder aus Familien kommen, in denen bisher niemand durch übermäßige geistige Gaben aufgefallen ist. Eine gute soziale Herkunft bedeutet nicht automatisch, dass man Intelligenz mitbringt.“
Stimmt – (hoch)begabte Kinder können in jedes soziale Milieu hineingeboren werden. Aber: Da sich Intelligenz auch nicht unabhängig von der Umwelt entwickelt, haben Kinder mit „guter sozialer Herkunft“ bessere Chancen, ihre angeborene Intelligenz bestmöglich zu entwickeln. Begabung braucht Förderung und Forderung, um in (Best-)Leistungen umgesetzt zu werden. Dass hier noch viele Versäumnisse passieren, ist klar.

* „Und hochbegabt sind auch nur 2%.“ Ja. Na und?

* „Man kann zum Beispiel auch Gedächtnis­weltmeister für Zahlen werden und sich auf Zuruf 100 Zahlen merken. Dafür gibt es Tricks mit Bildern: Die 1 ist ein Stock, die 7 ein Zwerg, die 0 ein Ei. Danach setzt man sich die Zahlen und Bilder zusammen. Dafür braucht es viel Zeit und Training. Wer dies macht, ist dadurch aber nicht automatisch gut auch im ­Vokabellernen.“ 
Behauptet ja keiner. Außerdem gibt es genug (Hoch-)Begabte, die nicht gut Kopfrechnen können, sich Vokabel schlecht merken und auch keine Gedächtniskünstler sind.
Oder soll das heißen, dass man zwischen Intelligenz und Training unterscheiden muss? Dann hat Stern recht – jedoch: Ohne Übung, ohne Training verkümmert die Intelligenz. (Hoch-)Begabung heißt daher nicht, dass man NICHT üben muss!

* „Die Schüler sollten die Zeit dort (gemeint ist: in der Grundschule) intensiv nutzen und nicht verplempern. Schule ist zum Lernen da und nicht zum Herumhängen.“
Ja. Nein. Naja. Natürlich sollte die Zeit in der Schule primär zum Lernen genützt werden – doch sieht Lernen nicht immer wie lernen aus. Auch zeichnen, Sport, Musik, soziales Lernen müssen Platz in der Schule haben, selbst wenn sie von manchen Menschen für ineffektiv gehalten werden. Laut Stern bringt Naturwissenschaft an den Grundschulen „anstatt die Kinder schwarze Löcher mit Knete basteln oder Pirat spielen zu lassen.“ Nicht unbedingt. Da nicht alle Kinder gleich sind, kommt es auf die richtige Mischung an, dann wird für jedes Kind etwas Interessantes und Forderndes dabei sein.

* „Der Inhalt und die Vermittlung von Wissen ist das Wesentliche.“ 
NEIN! Denn wenn das so wäre, könnten wir ja den Frontalunterricht wieder einführen und den SchülerInnen das Wissen quasi wieder eintrichtern. Oder noch besser: Wir setzen sie vor einen Computer, der diese Aufgabe übernimmt.
Für mich ist das Wichtigste: Selber denken lernen, damit man mit dem gelernten Wissen auch was anfangen kann und es später selbstständig erweitern kann.

Und hier noch der Link für alle die, die es nachlesen wollen: http://www.tagesanzeiger.ch/leben/bildung/In-Schweizer-Gymnasien-sind-Kinder-die-dort-nicht-hingehoeren/story/16462778

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