Donnerstag, 29. Oktober 2015

Sind Erstgeborene wirklich klüger?


Nicht uninteressant: Eine großangelegte Meta-Studie zeigte, dass der IQ mit der Stellung in der Geschwisterreihe leicht abnimmt. Dass also Erstgeborene in IQ-Tests ein höheres Ergebnis erreichen als (ihre) jüngeren Geschwister. Das wurde sowohl innerhalb von Familien als auch „quer“ über alle Familien berechnet.
Als Erklärung wird angeboten: Ältere Geschwister erklären jüngeren „die Welt“ und müssen dabei ihr eigenes Wissen strukturieren und abrufen. Das würde ihre Intelligenz steigern.

Im Zuge der Studie wurde auch die „Selbst-Einschätzung“ in Bezug auf Intelligenz verglichen – auch hier schneiden die jüngeren Geschwister „schlechter“ ab. Das erscheint mir ziemlich logisch: Schließlich haben sie ihre ganze Kindheit (und auch später noch) die älteren Geschwister „vor der Nase“, die schon so viel mehr können und wissen – und mit diesem Vorsprung vielleicht auch noch angeben.

Es wurde auch der Einfluss der Stellung in der Geschwisterreihe auf eine Reihe anderer Persönlichkeitsmerkmale getestet. Entgegen der landläufigen Meinung konnten aber keine Einflüsse auf Variablen wie „Extraversion, emotionale Stabilität, Gewissenhaftigkeit“ gefunden werden.

Ich frag mich dann immer nur, welchen praktischen Nutzen wir als Gesellschaft aus solchen Erkenntnissen ziehen (die Erkenntnis zwischen Zusammenhang „Geschwisterreihe und IQ“ ist übrigens auch gar nicht neu, das wurde schon mehrmals nachgewiesen). Im Endeffekt sagt der IQ nicht über Erfolg, Leistung und Lebensglück aus... Und daran, dass ältere Geschwister jüngeren die Welt erklären, lässt sich nichts ändern. (Wenn diese Erklärung zutrifft, müsste der Effekt bei Geschwistern, die einen sehr großen Altersunterschied haben, geringer sein, weil die Kinder dann einfach weniger Zeit miteinander verbringen). Was sich vielleicht ändern lässt, ist die tendenziell schlechtere Selbsteinschätzung der jüngeren Geschwister.


Freitag, 23. Oktober 2015

"Jedes Kind ist hoch begabt" von Gerald Hüther und Uli Hause



Diese Autoren sind Meister der Verallgemeinerung. Das schade, denn beim Lesen entsteht bei mir so eine Art Groll und dann nehme ich das, was an Richtigem gesagt wird, auch nicht mehr wahr und ernst.

5 Seiten gelesen – und schon die erste Irritation. Die Autoren schreiben über Talente-Scouts im Sport – und relativieren dann ihren Nutzen, „weil gerade die weltbesten Fußballer keine überragende Körpergröße haben“. Hat ja auch keiner gesagt, davon war nirgends im Text die Rede. Und ich nehme an, dass die Fußball-Trend-Scouts das auch wissen und nicht nach Körpergröße auswählen.
So geht es munter weiter: Wer große Hände hat, ist begriffsstutzig. Sehr nett. Und zwar, weil sich schon im Mutterleib die Nervenverbindungen bilden und diese bei Personen mit großen Händen anders sind als bei Menschen mit kleinen Händen. Aha. Hier hätte ich gerne einen wissenschaftlichen Nachweis. Also dass Menschen mit großen Händen erstens ungeschickt und zweitens „schwer von Begriff“ sind. Und zwar quasi von Geburt an.
Oder: „Gerade unter den Menschen, die mit einer Behinderung ins Leben gehen, erbringen viele besondere Leistungen.“ Auch diese Aussage braucht m.E. einen Beweis. Natürlich gibt es „Menschen mit Handicap“, die Tolles leisten – aber sind es prozentual tatsächlich mehr als bei den „nicht-behinderten“?
Manche Menschen sind zu besonderen kognitiven Leistungen fähig – aber ihr analytisches Denken ist nur eine Kompensation für ihre Unfähigkeit, Gefühle zu erkennen. AHA. Das Klischee vom „sozial unfähigen Genie“ konnten sie natürlich nicht auslassen...

Interessant auch seine Erklärung für besondere Begabungen: Mozart – so sein Beispiel – wurde deswegen ein genialer Komponist, weil seine Mutter sich immer entspannt hat, wenn der Vater musizierte. So hat der kleine Mozart schon im Mutterleib gelernt, dass Musik „gut tut“, die entsprechenden Nervenverbindungen bildeten sich und daher hat er sich später selbst mit Musik beschäftigt. Kann sein oder auch nicht. Müsste man nachweisen, dass viele Komponisten/Musiker auch musizierende Eltern hatten.
Und dann soll er mir bitte nach diesem Muster erklären, wie kognitive Hochbegabung entsteht!

Wenn man über diese Schwächen und das absolute Fehlen von Fußnoten und Referenzen (auch für Zitate) hinwegsieht, entdeckt man vieles, wo das Buch Recht hat. Zum Beispiel, dass jedes Kind das angeborene Bedürfnis nach Bindung an eine Bezugsperson hat. Dass jedes Kind mit der Fähigkeit zu lieben auf die Welt kommt. Dass es sich in einer guten Beziehung besser lernt als ohne. Dass Kinder von Natur aus neugierig und kreativ sind. Usw. Aber nichts davon ist neu – und nichts davon wird irgendwie stichhaltig belegt. Im Großen und Ganzen erzählt er, was jeder an seinen Kindern beobachten kann.
Auch auf gesellschaftlicher Ebene erzählt er nichts Neues: Dass viele Ehen zerbrechen, dass es wenig Platz für Kinder gibt, wo sie spielen können, dass Eltern aufgrund ihrer Arbeitssituation im Stress sind usw. - all das ist hinlänglich bekannt. Da finde ich es wenig sinnvoll, mit diesen „Erkenntnissen“ Seite um Seite zu füllen.
Dazwischen dann wieder ein Gedanke, wo ich sage: Ja, das stimmt – zum Beispiel, dass Kinder sich am besten entwickeln, wenn sie Vertrauen in sich selbst, in nahe Bezugspersonen und in die Welt an sich haben. Aber da fehlen mir dann die Ideen, wie man dieses Vertrauen in den Kindern stärken kann – und zwar eben unter den „Einschränkungen“, die das moderne Leben mit sich bringt. Da würde das Buch dann nützlich werden.

Mit Erkenntnissen aus dem modernen Leben (Bilderflut, Reizüberflutung, Verlust des Mitgefühls usw.) geht es durch den Mittelteil des Buches – dann endlich, das letzte Kapitel: Für ein Leben in Fülle: Was unsere Kinder wirklich brauchen? Kommt jetzt endlich, auf den letzten 15 Seiten etwas Hilfreiches? Etwas Alltagstaugliches? Leider nein, ich habe nur wenige Sätze gefunden, die uns nun sagen, was geschehen soll: Nämlich Wut-Eltern werden und uns gegen das wehren, was unseren Kindern zugemutet wird. Aha. Über das Wie schweigen die Autoren. Die zweite konkrete Idee: Schulen sollen so werden, dass den Kindern Vertrauen, Ermutigung und Wertschätzung entgegengebracht wird. Ja, da bin ich auch dafür – doch auch hier fehlen die konkreten Ideen.

Auf den letzten Seiten schildern die Autoren von einem „Experiment“ mit 11 ADHS-Kindern, die einen Sommer lang auf einer Selbstversorgeralm lebten. Es ist schön zu hören, wie sich diese Kinder dort positiv entwickelt haben, und das illustriert die Formbarkeit der (kindlichen) Persönlichkeit. Viel interessanter und mit einem Nutzen für deutlich mehr Kinder wäre es aber, wenn die Autoren ein paar konkrete Vorschläge hätten, was Eltern (und Lehrer) nun denn KONKRET tun können, damit Kinder in der Welt, in der wir nun eben leben, ihr Ur-Vertrauen, ihr Mitgefühl und ihre Kreativität nicht verlieren.

PS: Auch wenn man es wegen des Titels erwarten würde: Kognitive Hochbegabung im Sinne von „IQ ab 130“ kommt im Buch nirgends vor.
PPS: Ich habe schon lange kein Buch gelesen, in dem derart viele Ein- und Zweiwortsätze vorkamen. Das fand ich extrem mühsam. Außerdem hätten einige Querverweise und Referenzen auf andere Bücher/ Studien der Wissenschaftlichkeit und der Glaubwürdigkeit gedient.

Freitag, 16. Oktober 2015

Intelligenztests zur Diagnostik von Hochbegabung - für Experten und Eltern!

Für fast alle Familien mit besonders begabten Kindern - also mit Kindern, die sich z.B. früh für Buchstaben und Zahlen interessieren, die einen besonders großen Wortschatz haben, oder ein ausgezeichnetes Gedächtnis, oder sich in der Schule langweilen - stellt sich irgendwann die Frage, ob das Kind nicht hochbegabt sein könnte.
Gewissheit kann hier nur ein Intelligenztest bringen (auch wenn ein Ergebnis unter 130 nicht unbedingt bedeutet, dass das Kind nicht hochbegabt ist).

Auf dem Fachportal Hochbegabung gibt es eine wunderbare Übersicht über alle gängigen IQ-Tests für Kinder und Jugendliche, die speziell die Eignung dieser Test für die Fragestellung "Ist das Kind hochbegabt?" behandelt.

Obwohl sich die Seite in erster Linie an PsychologInnen richtet, finden auch Eltern dort wichtige Informationen und können sich im Vorfeld informieren, ob der Test, der für ihr Kind empfohlen wurde, für ihre Fragestellung geeignet ist. Mit Hilfe der Tabelle kann man auch checken, welche Testversion "die aktuelle" ist - und nur diese sollte verwendet werden.

Zur "Einführung" und Erklärung der Übersicht empfiehlt sich ein Blick auf den Artikel von  Tanja Baudson auf Scilogs: http://www.fachportal-hochbegabung.de/intelligenz-tests/.


Donnerstag, 15. Oktober 2015

Kurzes Video über hochbegabten 16-jährigen

Im ARD war ein kurzes Video über einen hochbegabten 16-jährigen Burschen zu sehen.
Bis auf die Bemerkung, dass er schwer Freunde findet und sich daher am besten mit seinem Bruder versteht, ist es ziemlich neutral gehalten. Finde ich gut!

Im Anschluss spricht eine Expertin und betont wieder einmal die Notwendigkeit von schulischer Förderung für hochbegabte Kinder. Besonders gefällt mir, dass sie sagt, dass diese Förderung zu den Pflichten der LehrerInnen gehört und sich LehrerInnen daher nicht davor drücken dürfen.

Ich frage mich nur, wie es in den Schulen dann tatsächlich abläuft.
Also hier in Österreich steht es auch im Gesetz - aber im Schulalltag merkt man nicht überall was davon.

Hier das Video: http://www.ardmediathek.de/tv/Lokalzeit-Bergisches-Land/Hochbegabt-Gl%C3%BCck-oder-Belastung/WDR-Fernsehen/Video?documentId=27985916&bcastId=7293604

Mittwoch, 14. Oktober 2015

"Kluge Mädchen. Frauen entdecken ihre Hochbegabung" von Katharina Fietze


Endlich ein Buch, in dem es hauptsächlich um erwachsene Hochbegabte geht – und zwar um Frauen, also um jene Gruppe Hochbegabter, die sonst „am wenigsten auffällt“.


Der erste Teil des Buches besteht aus Kindheitsgeschichten, so wie sie von hochbegabten Frauen erzählt wurden und deckt eine große Bandbreite an Erfahrungen und Lebenswelten ab. Fast jede hochbegabte Frau wird sich in der einen oder anderen Szene wiederfinden.

Im zweiten Teil versucht die Autorin, aus diesen Geschichten „übergeordnete Charakteristika“ zu ziehen. Da sie von der Grundausbildung keine Psychologin ist, geht sie ziemlich unbefangen an diese Vorhaben, und das ist gut so. So kann sie nämlich der Vielschichtigkeit und den (inneren) Widersprüchen besser gerecht werden. Zum Beispiel kann ein und dieselbe Hochbegabte „offen und neugierig“ aber auch „verschlossen und menschenscheu“ sein, oder „hochkonzentriert“ und „leicht abgelenkt“. Das hängt eben von der jeweiligen Situation und dem aktuellen Befinden ab.

Der hier entscheidende Satz war für mich: „Die eigene Hochbegabung zu leben, beinhaltet die Fähigkeit, diese Gegensätze auszuhalten, ohne daran zu zerbrechen.“

Besonders wichtig ist für mich das Kapitel „Späterkannte Hochbegabung“: Was tun, wenn der Verdacht auf Hochbegabung erst im Erwachsenenalter eintritt? Wie kann man mit dem Testergebnis umgehen? Welche Folgen kann es für das eigene Leben haben?
Für meine Begriffe hätte der erste Teil dieses Kapitels – also bis zum IQ-Test - durchaus ausführlicher sein dürfen, da gehen für die die Zweifel und Überlegung, die hier viele Frauen plagen, etwas unter. Auch der Rest des Kapitels dürfte etwas konkreter ausfallen – manches ist nur hingeworfen, angedeutet. Aber natürlich verläuft der Prozess der „Integration der eigenen Hochbegabung“ bei jeder Frau anders.

Interessant auch, dass im letzten Kapitel „Hochbegabte Mädchen“ die alten Klischees – wie „Mädchen brauchen nichts lernen, die heiraten eh“, „ein kluges Mädchen hat weniger Chancen bei den Männern“ - angeführt werden. Ist es tatsächlich so, dass diese Ideen immer noch in unserer Gesellschaft und in unserem Denken wirksam sind?!
Besonders gefällt mir die Empfehlung: „Sagen Sie Ihrer Tochter ganz klar, dass sie hochbegabt ist.“ Das sehe ich auch so, denn Hochbegabung ist ein entscheidender Teil der Persönlichkeit und will sich als solcher entfalten, zur Geltung kommen. Und das geht besser, wenn man Bescheid weiß.

PS: Schade, dass das Cover nicht ohne Klischee auskommt - nicht alle hochbegabten Mädchen tragen eine Brille und sind Leseratten.

Montag, 5. Oktober 2015

So spricht der Bildungsphilosoph - Interview mit Matthias Burchardt im Standard

Ich weiß zwar nicht genau, was ein Bildungsphilosoph ist und womit er sich konkret beschäftigt. Ich verstehe auch nicht bei allem, was er sagt, ganz genau was er meint...
In einem hat er aber Recht, auch wenn es natürlich polemisch formuliert ist, wenn er sagt „Lernen muss nicht Spaß machen“. Es stimmt, dass Lernen nicht immer Spaß machen kann, denn wer lernt schon mit Spaß Lateinvokabel oder denkt physikalische Experimente und Formeln durch. Lernen kann aber Freude machen, selbst dann, wenn der Prozess anstrengend und mühsam war: Richtige Freude erlebt der Lernende (und das gilt für Kinder und Erwachsene) wenn er dank des Lernens in der Lage war, eine herausfordernde Aufgabe zu bewältigen. Und daran wächst das Selbstbewusstsein, daran wächst die Freude am weiteren Lernen und daran wächst die Persönlichkeit. Wenn er das mit „Leistungsstreben“ meint, gebe ich ihm voll und ganz recht.
Wo ich ihm nicht zustimme, ist, wenn er schreibt, dass die Eltern nicht das Recht haben von der Schule eine gewisse Leistung einzufordern. Es stimmt, die Schule ist keine Anstalt zur „Humankapitalverbesserung“, aber die Schule ist der Ort, wo die Kinder lernen sollen und das Lernen lernen sollen. Und genau das dürfen, ja müssen Eltern für ihre Kinder von der Schule fordern.
Ach ja, und das Kind dort abholen, wo es steht finde ich auch nicht so schlecht – denn das heißt ja, dass sich Lehrer und Kind dann gemeinsam auf ein Ziel hinbewegen. Das find´ ich gut. Wieso sollt der Lehrer stehen bleiben und sich das Kind auf ihn zu bewegen sollen?!
PS. Latent unterstellt der Artikel allen Kinder, faul zu sein („und Wissenschaftern, die in einer reformpädagogischen Richtung denken, man möge den Kindern nichts zumuten, damit sie sich möglichst frei entfalten.“; „pädagogische Irrwege, wie das selbstgesteuerte Lernen“). Ich glaube, dass Kinder die selbstbestimmt ihren Interessen nachgehen, das sehr intensiv tun und sich dafür gerne und freiwillig anstrengen (wahrscheinlich mehr als das der Schulunterricht erreicht).

Freitag, 2. Oktober 2015

Paradies Sucher von Rena Dumont



Alt und doch aktuell: Die Autorin schildert, wie sie 1987 als 17-jährige ihre Flucht aus der Tschechoslowakei erlebt hat. Sie erzählt sehr sachlich, ohne jegliche „Gefühlsduselei“ und berichtet ehrlich auch von jenen Episoden, wo sie nicht so gut wegkommt. Obwohl ihre Flucht im Vergleich zu dem, was manche Flüchtlingen aktuell durchmachen müssen, „harmlos“ zu sein scheint, ist die Entscheidung für sie und ihre Mutter schwierig und zwischen den Zeilen erkennt man die Verletzungen, die sie erlitten haben. Zum Beispiel, alle Fotos und Tagebücher zurücklassen zu müssen. Man sieht auch, dass es selbst für Europäer nicht einfach ist, in einem anderen europäischen Land heimisch zu werden und Fuß zu fassen.

Das Buch zeigt die „Flüchtlinge“ von der Seite der direkt Betroffenen und macht deutlich, dass sie Hilfe brauchen, auch wenn sie schon am Ziel ihrer Flucht gelandet sind (Sprachkurse, psychologische Betreuung, Hilfe bei Behördengängen, Sachspenden).