In den Weiten des Internets bin ich auf einen Artikel vom Dezember 2012 gestoßen. Dort ging es um eine Schule (die Robert Bosch-Schule Homburg), die beschlossen hat, ihre Lernkultur vollständig zu erneuern und mit dem zu verbinden, was die Neurowissenschaft zum Thema Lernen zu sagen hat.
Das Experiment wurde in der 5. Schulstufe gestartet (im September 2012): Der „normale“ Unterricht wurde durch selbstorganisiertes Lernen ersetzt. Es gibt zwar immer noch Unterricht in Form von „Instruktion“, eben wenn etwas Neues erklärt wird, den größten Teil der Zeit verbringen die SchülerInnen aber mit selbstgewählten Aufgaben und Projekten.
Bei der Umsetzung wurde die Schule vom bekannte Neurowissenschafter Christoph Krick beraten, von einer Universität und einem „Lern-Institut“ unterstützt, die auch bei der Entwicklung von Materialien geholfen haben, denn es mussten viele Unterrichtsmittel neu entwickelt werden.
Es wurden auch Möglichkeiten geschaffen, mit welchen die SchülerInnen ihre Lernfortschritte dokumentieren und bewerten können.
Abgesehen vom großen Aufwand bei der Umstellung des Unterrichts gibt es viel positives Feedback, einige SchülerInnen, die vorher nicht gut rechnen konnten, sollen sogar in den wenigen Monaten zu guten MathematikerInnen geworden sein... Positiv unterstrichen wurde die hohe Kompetenz, die die Kindern beim Organisieren erworben haben und das ausgesprochen gute Klassenklima.
So weit, so gut.
Wäre ich nicht an einer anderen Stelle auf eine Studie (Visible learning, 2008) des neuseeländischen Bildungsforschers John Hattie gestoßen. Er hat eine Meta-Studie (das ist eine Studie, die die Ergebnisse vieler anderer Studien zusammenfasst) durchgeführt, um die Faktoren zu finden, die guten und schlechten Unterricht unterscheiden.
Entgegen landläufiger Meinungen haben weder Unterrichtsform, noch Klassengröße, noch Status als Privatschule, noch Alternativ-Pädagogik den größten Einfluss.
Entscheidend war v.a. der Lehrer/die Lehrerin, genauer gesagt, die Persönlichkeit des Lehrenden.
Sehr nützlich für den Lernerfolg war, dass der Lehrer/ die Lehrerin den SchülerInnen klare Vorgaben macht – „ich bin der Boss hier, ich bin verantwortlich für das, was hier passiert“ und „was werden wir heute machen, was ist Ziel der Stunde“.
Dieses einfache Gestalten des Rahmens hilft, eine förderliche Lernumgebung zu schaffen. Weiters essentiell: Der Lehrer ist selbstkritisch – wenn die SchülerInnen etwas nicht können, sucht er den Fehler bei sich und nicht in den Schwächen der SchülerInnen und ändert seinen Unterricht, was ihm gut gelingt, weil er mehrere Methoden zur Verfügung hat.
Und: „Für nicht verhandelbar hält der Neuseeländer hingegen die emotionale Seite des Lernens. Ohne Respekt und Wertschätzung, Fürsorge und Vertrauen könne Unterricht nicht gelingen, schreibt er und belegt das mit eindrucksvollen Zahlen. Selbst die altmodische »Liebe zum Fach« lebt bei ihm wieder auf.“
Und wahrscheinlich ist das – auch wenn es auf den ersten Blick so scheinen mag – kein Widerspruch zum Weg der erstgenannten Schule: Denn obwohl sich die Lehrerinnen dort viel weniger aktiv um den Lernprozess kümmern, liegt die Verantwortung für die Rahmenbedingungen fest in ihrer Hand und sie legen mit den SchülerInnen den Lernstoff fest (d.h. sie machen klar, was das Ziel ist). So heißt es auf der Schulhomepage: „Zu Beginn erläutert die Lehrperson den Schülerinnen und Schülern den sogenannten AO (Advance Organizer), der ihnen einen Überblick über die neue Unterrichtseinheit, d.h. den bevorstehenden Stoff, geben soll. Vorbei sind die Zeiten des „Im-Dunkeln-Tappens“, was der Lehrer vom Schüler erwartet und will. Ziel ist es hierbei, dass die Schülerinnen und Schüler zu jedem Zeitpunkt wissen, wozu die unternommenen Unterrichtsschritte gut sein sollen.“
Meine Folgerung aus den beiden Artikeln lautet (wieder einmal): Macht Persönlichkeitsbildung zum Pflichtgegenstand in der Pädagogikausbildung – das hilft dem Lehrer/ der Lehrerin, egal mit welchen Unterrichtsmethoden er/sie später einmal unterrichtet.